Mittwoch, 8. April 2015

Meine neue Gastfamilie

Am 1. März sind Fred und ich in unsere neue Gastfamilie nach Oropesa gezogen. Wir wurden sofort mit offenen Händen aufgenommen und sind schon jetzt, nachdem wir etwa einen Monat hier gewohnt haben Teil der Familie.
Orpesa ist das Dorf des Brotes. Fast 90% der Bevölkerung der „capital nacional del pan“, also der Nationalen Hauptstadt des Brotes, arbeiten in der „Brotindustrie“. So natürlich auch unsere Eltern. Wir haben zwei Häuser, das mit dem Brotofen ist unten in der Nähe der „Hauptstraße“. Neben unseren Eltern Isabel und Antonio wohnen dort noch unsere beiden Gastbrüder Elvis, er ist 17 und bereitet sich gerade auf die Uni vor, und Josue, oder Antu, der mitte zwanzig ist und so weit ich weiß hauptsächlich das Brot morgens nach Cusco fährt, wo es am Terminal verkauft wird. Wir wohnen im 2. Haus, das ganz neu gebaut wurde und auch immer noch im Bau ist, in der Nähe vom Plaza. Bis jetzt ist nur das untere Stockwerk ausgebaut, hier haben wir ein Zimmer, es gibt eine Küche (mit Kühlschrank und Mikrowelle!!!), unsere Gastschwester Yara (18, studiert economía de empresas, also Wirtschaft der Firmen) und unsere älteste Gastschwester Annahy, sie ist 29 und hat zwei Kinder, Rodrigo 11, und Kiara 7. Gerade wird der Boden im 1. Stockwerk verlegt, wenn das fertig ist, ziehen dann alle nach oben (für uns ist auch ein Zimmer oben eingeplant) und auch unsere beiden Gastgeschwister, die bis jetzt noch unten wohnen ziehen dann nach oben.
Das Leben hier ist mit dem, das wir in Tipon hatten nur schwer zu vergleichen. Der Lebensstandart ist ein komplett anderer, fast schon europäisch und auch der Bildungsstand der Familie sehr viel höher. Wir haben zwei Autos, es gibt warmes Wasser zum Duschen, es gibt keinen Holzofen, nur einen Gasherd und eine geflieste Küche mit Spühle und, wie schon erwähnt einer Mikrowelle und einem Kühlschrank. Unten in unserem Haus gibt es noch eine Tienda, in der hauptsächlich Annahy arbeitet, in der man alles mögliche kaufen kann und wir uns auch immer etwas nehmen können. Durch das Brotbacken und verkaufen verdient man anscheinend eine Menge Geld, aber ich glaube das unsere Familie auch von grundauf eher wohlhabend ist. Unser Cousain, mit dem wir aber gar nichts zu tun haben, ist Bürgermeister von Oropesa und die Familie stellt diesen schon in 6. oder 8. Generation. Auch unser Onkel Willy wohnt mit seiner Frau Olga und seiner Tochter Emmi in einem Haus aus „richtigen“ Ziegeln, also keine Lehmziegel, mit Auto und auch deren Wohnzimmer wird gerade renoviert. Durch diesen Luxus in dem wir jetzt leben hat sich aber nicht nur unser Lebensstandart geändert, sondern auch unser Familienleben. An einem Wochenende sind wir alle zusammen nach Cusco gefahren, auf einen Markt, etwas essen gegangen, ich habe eine Hose bekommen, Yara eine Tasche, abends spielen wir Monopoli, am Wochenende wird immer Volleyball oder Fußball gespielt und Nachmittags gehen wir öfter mit zum Ofen, um das Brot einzutüten, um es am nächsten Morgen nach Cusco transportieren zu können.
Kiara und Rodrigo gehen beide nach Cusco auf eine Privatschule und müssen schon ziemlich früh morgens los und kommen auch erst nachmittags wieder nach Hause. Vor allem, weil ich jeden Tag in Kontakt mit den Kindern bin, die in den Dörfern in die Schule gehen und dann Abends mit ihnen fällt mit der Unterschied zwischen der Bildung in Stadt und Land extrem auf. Alleine die Ausdrucksweise, die Art wie Rodrigo redet, seine Gesichtszüge, sein Wissen und Verständnis und auch Interesse für Dinge, das alles ist bei den meisten Kindern, die ich vorher kennengelernt habe total anders. Sicherlich liegt das auch am familiären Hintergrund und in dem Umfeld, in dem die beiden aufwachsen. Es macht mich doch nachdenklich und manchmal auch ein bisschen traurig, welche Chance so vielen Kindern verwehrt wird, „nur“ weil sie in einer bestimmten Familie aufwachsen. Und auch die Tatsache, dass man selbst gar nichts daran ändern kann, außer ihnen eine Stunde in der Woche ein bisschen Aufmerksamkeit zu schenken und Englisch beizubringen. Unsere beiden Geschwister, die beide studieren werden sind, auch wenn ich finde, dass sich dieser Ausdruck nicht richtig anhört, auf „einer Wellenlänge“ mit uns. Wir können uns über Dinge unterhalten, über die viele andere in deren Alter nicht mal wussten, dass sie existieren.
Vielleicht ist das ein bisschen hart und krass geschrieben, aber ich finde keine anderen Worte, die diesen enormen Unterschied so ausdrücken, wie ich ihn empfinde.
Seit zwei Wochen gehe ich in San Jeronimo, einem Stadtteil von Cusco, eine halbe Stunde von Oropesa entfernt, in ein Fitnesstudio. Letztes mal waren auch Fred und Yara dabei und haben sich für einen Monat angemeldet, mit Yara mache ich jetzt Abends immer Aerobic und ich fühle mich endlich mal wieder ein bisschen sportlich :)

Eine Besonderheit in unsrer Familie ist noch, dass sie anscheinend sehr viel Spaß am Glücksspiel haben. Jeden Samstag trifft sich die Familie + Onkel, Tanten etc. bei uns in der Tienda. Jeder bezahlt 20 Sol Einsatz, am Ende sind meistens so 300 Sol im Jackpot, also fast 100 Euro. Jeder, der bezahlt hat, darf einmal mit zwei Würfeln würfeln, wer die höchste Zahl hat, gewinnt. Ich glaube, unsere Gastmutter bezahlt jetzt immer für uns beide mit, dass sie höhere Chancen hat zu gewinnen, letztes mal habe ich nämlich gewonnen, ohne zu wissen, dass ich für mich mitspiele, sonst haben wir immer für die gewürfelt, die gerade nicht da waren, und meine Gastmutter hat das Geld abgesahnt :)

Ich bin unglaublich glücklich darüber, jetzt in dieser Familie zu wohnen, nicht wegen dem ganzen Luxus, in dem wir jetzt leben, sondern weil die Familie so viel herzlicher ist und ich mich viel wohler fühle. Trotzdem bin ich sehr froh, in den ersten Monaten in der Familie in Tipon gelebt zu haben, weil ich dort ein ganz anderes Leben kennengelernt habe, ganz andere Menschen und eine andere Mentalität.



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