Angestachelt von Fred, der auf seinem Blog mehr
über das schreibt, was hier anders ist, als in Deutschland oder Europa und was
er darüber denkt, muss ich jetzt auch mal meine Gedanken dazu loswerden. Ich
fange mal bei der Schule an, weil das das ist, was ich jeden Tag mitbekomme und
worüber ich mir auch schon einige Gedanken gemacht habe. Laut PISA-Studie ist
Peru das Land, in dem die Schüler in allen getesteten Kompetenzbereichen insgesamt
am schlechtesten von allen getesteten Ländern abgeschnitten haben. Glaubt man
der Studie, ist Peru also das Land mit der niedrigsten Bildung. Wieso ist das
so? Ich kann natürlich keine Verallgemeinerungen treffen und auch nur das
wiedergeben, was ich beobachte und das ist die Masse mehrerer Einzelfälle, also
ist das auch meine Wahrnehmung und Meinung und hat keinen
Allgemeinheitsanspruch. In meiner Familie kann ich beobachten, dass es den
Erwachsenen durchaus bewusst ist, dass es wichtig ist, in die Schule zu gehen,
zu lernen, gute Noten zu schreiben und später mal zu studieren, um einen guten
Arbeitsplatz zu bekommen und Geld zu verdienen. Das merke ich sowohl bei meiner
Mutter, die Bladi öfter mal zusammenstaucht, wenn er eine schlechte Note hat
und ihn fragt, was aus ihm werden soll. Außerdem geht er jeden Nachmittag nach
der Schule ins Chicolationo so eine Art kostenlose Nachmittagsbetreuung in
Tipon, in der man seine Hausaufgaben machen kann. Dorthin gehen auch unsere
zwei Cousains Carlos und Brandon (er ist ungefähr im selben Alter wie Bladi,
also etwa 11), und auch wenn Brandons Eltern bei uns sind merkt man, dass es
ihnen wichtig ist, dass er immer seine Hausaufgaben macht und später mal auf
eine gute Segundaria und Uni geht, so wie sein älterer Bruder Marco. Wir leben
hier auf dem Dorf, wo die Verhältnisse natürlich nochmal komplett anders sind,
als in der Stadt, aber ich schließe daraus, dass in den Familien, sicher nicht
in allen, beispielsweise in Patabamba, dem Bergdorf, in dem Malu und Fred unterrichten
ist das sicherlich anders, aber es gibt durchaus Familien, denen bewusst ist,
wie wichtig Bildung ist, die ihre Kinder in die Schule und zur Nachhilfe
stecken. Auch im Unterricht merkt man, dass nicht mehr Kinder fehlen, als bei
uns, die Kinder also auch zur Schule gehen. Trotzdem hat beispielsweise unser
Bruder und er ist inzwischen in der 6. Klasse, aber auch einige Schüler in den
Klassen, die ich unterrichte Probleme 8-1 zu rechnen und müssen einfachste
Rechenaufgaben, die man bei uns ab der 3. Klasse einfach rechnen kann, an den
Händen abzählen. Auch im Englischheft von Bladi stehen irgendwelche
grammatikalischen Dinge, oft auch noch falsch, dabei kann er nicht mal sagen,
wie er heißt, oder wie alt er ist. Wenn wir ihm manchmal bei seinen Mathehausaufgaben
helfen, merkt man ganz deutlich, dass er in der Schule zwar alle möglichen
Dinge aufschreibt und „lernt“, davon aber eigentlich fast gar nichts versteht,
also irgendwie auch wieder nicht lernt. Ich denke, dass der Englischunterricht
vielleicht auch oft so schleppend voran geht, weil bei vielen einfach das
Verständnis für das fehlt, was wir ihnen beibringen wollen. Natürlich gibt es
auch Ausnahmen, also Schüler, die sofort verstehen, wie etwas geht und die
Logik hinter der Sprache entdecken, während ich von anderen den Eindruck habe,
ich würde sich durchgehend mit irgendeiner Geheimsprache zureden, von der sie
gar nichts verstehen können.
Also meine Schlussfolgerung ist, dass es zwar
Schulen, Lehrer, Unterricht und Schüler, die in die Schulen gehen gibt, diese
dort aber viel von dem, was sie dort lernen sollten nicht verstehen und somit
eher wenig wirklich mitnehmen. Ich glaube aber auch, dass das vor allem auf den
Dörfern so ist. Wir haben auch eine Segundaria in Cusco an der Sinje und Fred „unterrichten“,
dort ist die Lehrerin sehr kompetent und man kann sich mit den Schülern auf
Englisch unterhalten, also eine ganz andere Welt, als in den anderen Schulen,
an denen wir unterrichten.
Das Schulsystem ist hier übrigens überall
gleich, nach 6 Jahren Primaria folgen 5 Jahre Segundaria, danach kann man dann
studieren, wenn man gut genug war. Sicherlich gibt es aber auch Unterschiede
von den Segundarias her, und die besonders guten Schüler, deren Familien
dahinterher sind und die es sich leisten können fahren dann jeden Tag nach
Cusco auf eine Schule.
Meine Überlegung war, dass es in Deutschland
vielleicht anders ist, weil nach der 4. Klasse ausgewählt wird, wer auf welche
Schule geht und somit auch wer mit wem lernt. Inzwischen glaube ich aber, dass
es nicht nur das sein kann. Entweder es fehlt die Unterstützung von zu Hause,
die zumindest einige in Deutschland bekommen, da unsere Mutter auch nichts von
dem versteht, was Bladi in der Schule lernt und ihm nicht helfen kann. Vor der
Schulzeit gibt es hier auch Kindergarten, allerdings weiß ich nicht, inwiefern
diese sich der kognitiven Entwicklung der Kinder widmen. Wenn dort auch schon
mit dem Schlagstock für Ordnung gesorgt wird, kann es natürlich auch damit
zusammenhängen, dass sich die Kinder anders entwickeln, als in Ländern, in
denen das nicht so ist. Also ich letztens meiner 6. Klasse erklärt habe, dass
es in Deutschland gar nicht erlaubt ist Kinder oder Schüler, oder irgendwen zu
schlagen, nachdem ich von einem Schüler aufgefordert wurde einen anderen zu
schlagen und gefragt wurde, wieso ich das nicht will, haben alle ziemlich
unverständlich und verdutzt geschaut.
Dann kann es auch noch am Lehrplan, bzw. an den
Lehrern, also an der Umsetzung des Lehrplans und der „pädagogischen Erziehung“
liegen, dass Peru so ein Defizit, was Bildung, zumindest in dem Sinne, in der
sie in der PISA-Studie getestet wird, ausweist. Ich habe viele Lehrer
kennengelernt, die uns gegenüber total freundlich und nett sind, ihre Schüler
dann aber durchgängig anschreien müssen, um sie einigermaßen ruhig zu halten.
Beim Unterricht in meiner 6. Klasse mussten in einer Stunde mindestens 6 Kinder
aus einer anderen Klasse mit dem Kopf zur Wand und den Händen hinter dem Kopf
die komplette Stunde lang stehen und die letzten 5 Minuten auch noch auf einem
Bein, weil sie in ihrer Klasse angeblich gespielt haben, statt im Unterricht
mitzumachen. Ich hab in meiner Schulzeit zwar auch Lehrer kennengelernt, die
ich nicht unbedingt als pädagogisch begabt bezeichnen würde, aber soweit ich mich
erinnere wurde niemand geschlagen, irgendwie anders körperlich bestraft oder so
oft angeschrien, wie das hier der Fall ist. Allerdings kann man auch den
Lehrern keinen direkten Vorwurf machen, weil diese Erziehungsmethoden eben die
sind, die sie früher auch vorgelebt und beigebracht bekommen haben und jetzt
eben ihren Kindern und Schülern vorleben. Zu dem Unterricht kann ich eigentlich
nichts sagen, da ich noch keine Schulstunde eines peruanischen Lehrers gesehen
habe. Trotzdem finde ich, dass die Schüler ein gutes Verhältnis zu ihren
Lehrern haben und manche beispielsweise jeden Morgen mit einer Umarmung
begrüßen und auch wir immer wenn wir ins Klassenzimmer kommen, oder am gehen
sind umarmt werden. Es scheint also eine Mischung aus Respekts-, Ansprech- und
Vertrauensperson zu sein, was einen Lehrer hier ausmacht. Dass die Kinder hier
von vielen Lehrern geschlagen werden, macht es für uns auch nicht einfacher uns
Respekt zu verschaffen, da sie inzwischen gemerkt haben sollten, dass wir das
nicht machen und dann natürlich ihre Grenzen austesten wollen, wenn sie nicht
mit einem Schlagstock in Zaum gehalten werden.
Das gute und angenehme Schulklima, das
Bewusstsein in der Bevölkerung, wie wichtig Bildung ist und die Tatsache, dass
sich immer alles verändert und weiterentwickelt, lässt mich optimistisch
bleiben und ich denke, dass sich Peru in einigen, vielleicht auch ein paar mehr
Jahren, wenn es denn überhaupt sein Ziel ist, was Bildung betrifft, an die
Standards der Länder orientieren und eines Tages vielleicht sogar angleichen
kann, die in der PISA-Studie weiter oben stehen, wobei man natürlich auch im
Hinterkopf behalten muss, dass diese auch nicht stillstehen, sonder sich
weiterentwickeln werden.
Soviel zu meinen Gedanken zu Schule in Peru,
zumindest zu dem, was ich bis jetzt mitbekommen durfte. Auf jeden Fall bin ich
froh, diese Einblicke zu bekommen, auch mit Hinblick auf das deutsche
Schulsystem, über das ich mich an derer Stelle gerne nochmal auslassen könnte
:)
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